Am 1.8.1914 begann der erste Weltkrieg. Die Gründe dafür waren wachsende innere und äußere Schwierigkeiten des Deutschen Reiches, ausgelöst durch den Versuch in den Rang einer Kolonialmacht wie das Britische Weltreich zu gelangen. Der deutsche Militärapparat unterstützte dieses Ansinnen durch einen zügigen Ausbau der Schlachtflotte. Das Attentat von Sarajewo auf den österreichischen Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand war nur ein vorgeschobener Grund um einen Krieg anzuzetteln, der eine Konsolidierung der Macht in Europa und eine Ausweitung und Zusammenfassung der Überseebesitzungen zum Ziele hatte. Der Krieg löste zunächst auch in Frankfurt eine wahre Begeisterungswelle aus.
Ab dem Jahre 1916 litt ein großer Teil der Bevölkerung Hunger, da die süddeutschen Staaten die Ausfuhr von Fleisch, Kartoffeln, Butter und Käse einstellten. Die Kriegsbegeisterung ebbte deutlich ab. Es kam zu großen Friedensdemonstrationen, u.a: im Ostpark, wo sich 20.000 Menschen versammelten. 1917 gingen die ersten Bomben auf Frankfurt nieder. Zuvor hatten deutsche Flugzeuge Antwerpen und englische Großstädte angegriffen. Im Verlaufe des Krieges kamen durch Luftangriffe 11 Menschen im Riederwald ums Leben, es gab 49 Verletzte.
Bedingt durch die große Hungersnot richtete die Stadt 1918 im Ostpark, Huthpark, Riederhof, Goldstein und im Zoo Viehzucht ein. Auch die Gärten im Riederwald dienten in diesen schweren Jahren in erster Linie der Sicherstellung der Ernährung der Bevölkerung. Es wurden auch Hasen, Hühner und Ziegen gehalten. Die Not der Bevölkerung wuchs stetig an und damit auch der politische Druck auf die Machthaber. Am 8./9. November 1918 bildete sich in Frankfurt, wie fast überall im Deutschen Reich, ein Arbeiter- und Soldatenrates, dessen Ziel es war, eine demokratische und sozialistische Republik aufzubauen. Die militärische Niederlage schließlich zwang das Deutsche Reich zu einem Waffenstillstand, der am 1. November 1918 verabredet wurde. Nach dem Krieg wurden an Demokratie und die politische Vertretung der Arbeiterbewegung große Hoffnungen geknüpft.
Die Wahl zur Preußischen Nationalversammlung am 19.1.1919 war die erste bei der Frauen wählen durften. Die Riederwälderin Johanna Tesch wurde Mitglied der Nationalversammlung für die SPD und gehörte dann auch 1920-1924 dem ersten Reichstag der Weimarer Republik an. Die Wahlergebnisse aus dem Wahllokal “Gasthaus zum Riederwald” sahen damals folgendermaßen aus: Deutsche Liberale Volkspartei 9 Stimmen, SPD 776 Stimmen, Demokratische Partei 46 Stimmen, Deutschnationale 10 Stimmen, Christliche Volkspartei 38 Stimmen, USPD 209 Stimmen. Einige Monate später (am 22.6.1919) schreibt Johanna Tesch aus Weimar an ihre Familie:
„Meine Lieben! Nun sind die Würfel gefallen. Der Friedensvertrag ist mit 237 gegen 138 Stimmen angenommen. Ich hätte kaum geglaubt, dass sich eine so große Mehrheit für die Unterzeichnung finden würde. Damit ist nun die Gefahr einer Besetzung für meine liebe Vaterstadt glücklich abgewendet.”
Die Gefahr aber kam eher von innen. Am 22.11.1919 besetzten Reichswehrtruppen das Frankfurter Polizeipräsidium mit dem Ziel, die Polizeikräfte des Arbeiterrates aufzulösen. Nachdem die Reichswehr gegen die Rote-Ruhr-Armee im Jahre 1920 eine Offensive startete, besetzten französische Truppen Teile Deutschlands, da dies als ein Verstoß gegen den Versailler Vertrag angesehen wurde. Auch Frankfurt war vom 6.April bis Mitte Mai 1920 von französischen Truppen besetzt. Im Riederwald waren marokkanische Truppen in den Schulbaracken stationiert worden.
Die letzten der insgesamt 625 Wohnungen des Volks- Bau- und Sparvereins konnten im Oktober 1916 fertiggestellt werden. Die Siedlung, im Volksmund “Kolonie” genannt, galt in der damaligen Zeit als pionierhafte Bauleistung im Arbeiterwohnungsbau und fand damit das Interesse vieler in und ausländischer Wohnungsexperten. Die Kosten betrugen 4.754.475 Mark. Der 1. Weltkrieg hatte viele Mitglieder in eine unverschuldete Notlage geführt. Der Volks-Bau-und Sparverein gewährte Mietnachlass für die, die sich im Militärdienst befanden. Am 31.12.1916 waren trotzdem 106 Wohnungen nicht vermietet.
Nach dem Kriegsende nahm die Wohnungsnot katastrophale Ausmaße an. Im Jahre 1919 gab es in Frankfurt 7.000 Wohnungssuchende. Auch im Riederwald wurden weitere Bauabschnitte zur Bekämpfung der Wohnungsnot in Angriff genommen. Die Schäfflestraße, Raiffeisenstraße und die Lahmeyerstraße wurden 1918 trassiert, d.h. als Straßen angelegt. Es wurde ein städtischer Wettbewerb für die Bebauung des Geländes östlich der bereits bestehenden Riederwald-Kolonie ausgeschrieben. Es gewannen die Architekten Georg und Karl Schmitt. Nach einigen Ungereimtheiten mit der Stadt Frankfurt am Main wurde diesen Architekten der Bauauftrag gegeben. Wie andere Planer auch, wollten Georg und Karl Schmitt eine Verbesserung der Wohnqualität für Arbeiterfamilien erreichen. Sie gelten als Vorläufer der sog. “May- Ära” (Ernst May war ab 1925 Stadtbaurat der Stadt Frankfurt am Main). Da der 1. Weltkrieg gerade erst beendet war, verwendete man zum Bauen vielfach Ersatzbaumaterialien, was dem neuen Siedlungsteil den Namen “Gipsdielenhausen” einbrachte.
Es lassen sich folgende Bauphasen feststellen:
Am Erlenbruch/Ecke Schäfflestr. baute man 1925-1926 die dreitorige Tordurchfahrt. Insgesamt entstanden hier: 187 Wohnungen (davon 100 Zweizimmerwohnungen), neun Läden, eine Wirtschaft und ein Polizeirevier. Wer von der Straße “Am Erlenbruch” entlang der Schäfflestraße in die Siedlung gelangen möchte, ist beeindruckt von den Arkaden, in denen sich die Läden verbergen. Die Nutzung dieser Geschäfte wurde schon bei der Planung berücksichtigt und ist somit vorgeschrieben. Jedem Besucher bleibt dieses Wahrzeichen des Riederwaldes als architektonischer Eindruck erhalten. Die Zahl der Bewohner stieg in diesen Jahren von 2.336 (1919) auf 6.576 (1926). Im Jahre 1926 gab es im Riederwald fast 1.000 Wohnungen mehr als 7 Jahre zuvor, nämlich 1.612. Wie die Bewohner damals zusammen lebten, lässt sich am besten aus einem Zitat ablesen. Carl Tesch, einer der Söhne von Johanna Tesch erinnert sich:
„Die Riederwälder bildeten eine Wohngemeinde von besonderer Geschlossenheit. Sänger und Sportler, Arbeiterjugend und Naturfreunde, Parteien und Gewerkschaften, alle hatten ihre starken, festen Gruppen in der Siedlung. Feste und Feiern waren ein Ereignis für alle. An den Festtagen der Weimarer Republik, dem I. Mai, am Verfassungstag (11.8.) und am Revolutionstag (9.11.) flatterten in der Siedlung schwarz-rot-goldene und rote Fahnen. Hier wohnten Reichstags-und Landtagsabgeordnete, Mitglieder des Magistrats und der Stadtverordneten-versammlung.”
Bei all diesen Feiern bildete das Volkshaus das gesellschaftliche Zentrum der Siedlung. Der Bau war bereits im Konzept des Volks– Bau- und Sparvereins integriert. Er enthielt eine kleine Gaststätte, einen Saal für Veranstaltungen, einen großen Garten, eine Kegelbahn und in einem Anbau eine Volksbibliothek mit Lesezimmer.
In den für Schulzwecke genutzten Baracken am Schulze-Delitzsch-Platz wurde die Raumsituation zunehmend beengt. Die Stadt Frankfurt hatte deshalb im Rahmen des o.g. Bebauungsplans eine Schule vorgesehen. Planender und durchführender Architekt war Franz Thyriot. Der erste Spatenstich erfolgte am 22.2.1922. Im November 1923 konnten die ersten neun Klassen das Gebäude beziehen und auch die Turnhalle wurde ihrer Bestimmung übergeben. Knapp ein Jahr später bezogen weitere acht Klassen das Schulgebäude. Außerdem konnten die Werkräume in Betrieb genommen werden. Ein Schulgarten wurde angelegt. Schon 1925 war die Schule überbelegt, so dass man die alte Steinbaracke wieder nutzen musste. Die Frankfurter Nachrichten vom 10.11.1923 berichteten über die Eröffnungsfeierlichkeiten:
„Rektor Horn übernahm im Namen des Lehrkörpers das Gebäude und versprach, es zu hüten und zu pflegen. Nachdem Herr Thyriot einen Überblick über den Bau gegeben hatte, führte er die Gäste durch alle Räume. Die Riederwaldschule lagert als breit hingestreckter Bau in der Ebene vor dem Riederwald zwischen den Häusern der alten und neuen Kolonie. Sie ist als Hauptgebäude der bauliche Mittelpunkt der ganzen Ansiedlung. Gegliedert durch die beiden vorgezogenen Flügel der Turnhalle und des Kindergartens, bietet sie einen künstlerisch hoch befriedigenden Anblick.“
Quelle: Nachdruck mit redaktionellen Änderungen der Publikation “100 Jahre Riederwald”, erarbeitet von der Riederwälder Geschichtswerkstatt in den Jahren 1990-2000, herausgegeben vom Riederwälder Vereinsring aus Anlass des 100-jährigen Bestehens des Stadtteils Riederwald im Jahr 2011.