Im Riederwald spielten die Sozialdemokratische und die Kommunistische Partei Deutschlands in der Weimarer Republik die größte Rolle. Der Siedlungsteil, der dem Volks-Bau und Sparverein gehörte, war eine sozialdemokratische Hochburg. Der andere Teiljenseits der Schäfflestrasse wies überwiegend KPD-Wähler aus. Beide politischen Parteien waren jeweils durch ihre Untergliederungen im Stadtteil vertreten. Für die KPD waren dies z.B. die Rote Hilfe, der Rotsport usw. Aber auch die anderen politischen Organisationen im linken Spektrum (nahezu alles Abspaltungen von SPD oder KPD) hatten Gruppen im Riederwald: die Sozialistische Arbeiterpartei (SAP), deren Jugendverband, der Sozialistische Jugendverband (SJV), der Internationale Sozialistische Kampfbund (ISK) usw. Eine Aktivität des SJV ist uns überliefert: In der Aula der Konrad-Haenisch- Schule wurden russische Filme gezeigt wie „Panzerkreuzer Potemkin“ und „Zehn Tage, die die Welt erschütterten“.
Das ausgeprägte Klassenbewusstsein dieser Zeit war nicht zuletzt Teil der kulturellen Situation. „Wissen ist Macht“, „Bildung macht frei“ diese Parolen beflügelten die Gründung von besonderen Vereinigungen der Arbeiterschaft. 1925 kam es zur Gründung des Frankfurter Kulturkartells der modernen Arbeiterbewegung. Die aus der Arbeiterbewegung stammenden Kultur-und Sportvereine waren auch im Riederwald der Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens. Die Naturfreundejugend spielte eine ebenso große Rolle wie die Arbeitersportvereine. 1925 fand in Frankfurt die erste Internationale Arbeiterolympiade statt, an der auch Riederwälder Sportler und Sportlerinnen teilnahmen. Folgende Organisationen der Arbeiterbewegung waren im Riederwald aktiv: Volkschor Riederwald (Mitglied des Deutschen Arbeitersängerbundes), Arbeiter Samariterbund, Freidenker, Freie Turnerschaft Riederwald (Mitglied des Arbeiter Turn- und Sportbundes), Jugendkartell Riederwald, Arbeiter-Radfahrerbund „Solidarität“. 1931, als die Weltwirtschaftskrise einen Höhepunkt fand, entstand in Frankfurt die erste Erwerbslosenküche. Kurz darauf wurden im Stadtgebiet, unter anderem im Riederwald weitere Zweigstellen eröffnet. Es handelte sich um Selbsthilfeorganisationen der Erwerbslosen, ohne öffentliche Zuschüsse. Die Mahlzeiten wurden nicht kostenlos, sondern zum Selbstkostenpreis abgegeben.
Durch verschiedene kulturelle Veranstaltungen versuchte man das magere Budget aufzubessern. So veranstaltete z.B. der Verein Erwerbslosenküche Riederwald am 13.Juni 1931 einen Festabend. Mit dem Besuch der Veranstaltung war man nicht sonderlich zufrieden. In der „Riederwälder Zeitung“ vom 26.6.1931 heißt es: „Wenn auch der Besuch des Festabends ein guter war, so hätte derselbe in Anbetracht des guten Zweckes, der damit verbunden war, doch besser sein können, zumal es galt ein Scherflein mit beizusteuern für die Ärmsten unter den Koloniebewohnern.“
1928 wurden sechs umliegende Dörfer (u.a. Höchst) nach Frankfurt eingemeindet. Sie brachten der Stadt neue Steuergelder und neues Baugelände. Die große Wohnungsnot, gepaart mit den ersten Auswirkungen einer niedergehenden Wirtschaft, erforderte neue Ideen im Wohnungsbau. Der damalige Oberbürgermeister Ludwig Landmann übertrug 1925 dem neuen Baudezernenten, Ernst May, diese nicht gerade leichte Aufgabe. Seine Ideen zum Wohnungsbau stammen aus der Schule des „Bauhaus“, der auch so namhafte Architekten wie Mies van der Rohe, Walter Gropius und Peter Behrens angehörten. Zweck des Bauhauses sollte eine handwerkliche, technische und künstlerische Durchdringung sein. Mays Grundsatz war: „Was immer unter dem Sammelbegriff Städtebau geschaffen wird, hat nur einen Sinn, wenn es dazu beiträgt, das Leben der Menschen fruchtbarer, reicher, sorgenfreier zu gestalten. Und zwar nicht nur das Leben einer bevorzugten Klasse, sondern das Dasein aller Schichten der Bevölkerung.“
Unter Ernst May bleibt die abgeschlossene Wohnung für die Kleinfamilie das erstrebenswerte Ziel. Dazu gehören ein Badezimmer mit fließend Warmwasser und die Ausrichtung der Wohnräume zur Sonne mit ausreichender Belüftung (Schlafzimmer zur Morgensonne, Wohnzimmer zur Abendsonne). Die Wohnküche wurde umfunktionalisiert in eine Laborküche und einen Wohnraum mit Essplatz, die sogenannte Frankfurter Küche. Diese Überlegungen hatten auch zum Ziel, die Gesamtwohnfläche zu verringern und die Baukosten niedrig zu halten. Die durchschnittliche Dreizimmerwohnung konnte dadurch mit 65 qm geplant werden. Die Bauten in der Raiffeisenstraße 69 und 64-68 waren im Jahre 1926 die ersten Häuser, die nach den Gesichtspunkten des Bauhauses erbaut wurden. Von 1926-1927 entstanden durch die AG für kleine Wohnungen im Riederwald folgende Wohnraumprojekte nach den Vorstellungen von Ernst May:
Die Frankfurter Küche, konzipiert von der Architektin Grete Schütte-Lihotzky, hatte ihren Sinn darin, der Hausfrau eine enorme Arbeitserleichterung zu bringen. Das bedeutete, dass ihre Einrichtung so vernünftig wie möglich erfolgen musste. Soziales Empfinden und der Kampf um die Gleichstellung der Frau in der Gesellschaft führten schon weit vorher zur systematischen Organisation, Rationalisierung und Mechanisierung im Haushalt, vor allem in der Küche. Patente für- den „Arbeitsplatz Küche“ wurden schon vor 1900 erarbeitet und dienten als Vorbilder für die planerische Arbeit der 20er und 30er Jahre. Ein interessantes Beispiel zeigt die Planung einer Schiffsküche, die 200 Personen versorgen sollte. Alle Utensilien wurden auf so engem Raum verstaut, dass mit ein oder zwei Schritten alles erreicht werden konnte. Ohne die neuen industriegefertigten Haushaltsgeräte war dies aber nicht zu bewerkstelligen. Eine gut eingerichtete Küche mit Haushaltsgeräten und der wohlüberlegten Anordnung aller Einrichtungsgegenstände brachten enorme Erleichterungen für die Hausarbeit. „Macht Euch endlich frei von der Haussklaverei! Hausfrauen, der halbe Tag gehört Euch“, so der Ausspruch einer Zeitgenossin. Ernst May sprach 1926 voller Stolz: „Die Einrichtung unsrer Küchen dürfte bisher noch nirgends in gleicher Vollkommenheit zu finden sein.“
Quelle: Nachdruck mit redaktionellen Änderungen der Publikation „100 Jahre Riederwald“, erarbeitet von der Riederwälder Geschichtswerkstatt in den Jahren 1990-2000, herausgegeben vom Riederwälder Vereinsring aus Anlass des 100-jährigen Bestehens des Stadtteils Riederwald im Jahr 2011.