„Früher standen hier überall Bäume. Wir hatten Kirschen, Äpfel und vieles mehr. Überhaupt war es ja so, dass fast alle im Riederwald Gärten hatten“, erzählt die Dame, die zur Sprechstunde ins Nachbarschaftsbüro gekommen ist. Ihre Freude über das viele Grün im Stadtteil ist jedoch getrübt. Denn, so berichtet sie traurig weiter, „davon ist ja heute kaum noch was übrig.“
Klagen wie jene der älteren Nachbarin über „Kahlschlag“ im Zuge von Sanierungsarbeiten oder über neue einschränkende Grünflächennutzungsordnungen der ansässigen Wohnungsbaugesellschaften habe ich in meinen ersten Monaten als Quartiersmanager oft zu hören bekommen. Natürlich betrüben mich diese Geschichten, denn die vielen Bäume und Blumen unterschiedlichster Art und Herkunft erscheinen mir fraglos als einer der größten Schätze des Stadtteils (ebenso wie die enorme Vielfalt seiner Bewohner*innen). Ich habe mich aber auch immer wieder gefragt: Wie kommt es eigentlich, dass der Riederwald – dieser kleine Frankfurter Stadtteil, der die Natur schon im Namen trägt – so reich an Gärten und Grünstreifen ist?
Wie so häufig, wenn man die Gegenwart verstehen will, lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit. Und zwar in die Gründungsphase des Riederwalds Anfang des 20. Jahrhunderts. Mit dem Bau des Frankfurter Osthafens und der Entwicklung der Industriegebiete in Seckbach ging die Notwendigkeit einher, neuen Wohnraum im Osten der Stadt zu schaffen. Dieser Aufgabe widmete sich die Ende des 19. Jahrhunderts gegründete Genossenschaft „Volks- Bau und Sparverein“. Im Jahr 1909 erwarb sie von der Stadt ein Gelände am Riederwald, um dort das damals wohl mutigste Wohnungsbauprogramm zu starten: die Riederwald-Siedlung. Zentraler Bezugspunkt in der Planung war das Konzept der „Gartenstadt“. Siedlungen sollten sich dieser – ursprünglich aus England stammenden – Vorstellung nach durch eine weiträumige und flache Bauweise auszeichnen, die viel Platz für Natur lässt und den Bewohner*innen so Zugang zu Licht, Luft und Sonne ermöglicht. Für die einzelnen Häuser war zudem ein Zugang zu einem eigenen Garten vorgesehen, in dem sich die Menschen erholen und eigene Lebensmittel anbauen können.
Aufnahme fand die Idee der Gartenstadt auch in der weiteren Ausgestaltung des Riederwalds unter der Leitung Ernst Mays, dem damaligen Siedlungsdezernenten der Stadt Frankfurt. Stark von sozialreformerischen Vorstellungen geprägt, ging es May mit seinem Stadtplanungsprogramm Neues Frankfurtvor allem darum, die meist katastrophalen Wohn- und Lebensverhältnisse der Arbeiterinnen und Arbeiter zu verbessern. Winzige Wohnungen ohne Fenster und fließend Wasser waren damals die Regel, was dazu führte, dass die hygienischen Umstände miserabel waren und viele Arbeiter*innen beispielsweise an Tuberkulose starben. Die Art und Weise wie May Siedlungen plante, war daher nicht nur vom Grundsatz geprägt, billigen Wohnraum zu schaffen, sondern auch qualitativ hochwertigen. May, der das Konzept der Gartenstadt bereits vor dem Ersten Weltkrieg während eines Praktikums in England kennen gelernt hatte, begann daher nun, es für die Planung der Riederwald-Siedlung aufzugreifen. Untermauert wurde sein Vorhaben auch dadurch, dass er 1925 den Gartenarchitekten Leberecht Migge in sein Team berief, der bereits 1918 ein Buch mit dem Titel „Jedermann Selbstversorger! Eine Lösung des Siedlungsproblems durch neuen Gartenbau“ veröffentlicht hatte.
Läuft man heute durch den Riederwald, entdeckt man – allen Veränderungen zum Trotz – noch immer viele Spuren der Gartenstadt Riederwald: Von den Gärten rund um die Häuser, über den Wohnhof am Engelsplatz, bis hin zum Licht- und Luftbad. Wie es mit diesen und anderen Orten im Stadtteil weitergeht, hängt jedoch nicht allein von stadtplanerischen Konzepten und den ansässigen Wohnungsbaugesellschaften ab, sondern ganz entscheidend auch davon, wie sie von den Anwohner*innen des Riederwalds genutzt und belebt werden. Anstatt auf vermeintlich bessere Zeiten in der Vergangenheit zu weisen, gilt es daher selbst aktiv zu werden, Mitstreiter*innen zu suchen und den Stadtteil den eignen Vorstellungen entsprechend zu gestalten. Als Quartiersmanager unterstütze ich Sie dabei sehr gerne.
Dieser Artikel wurde der Riederwälder Anwohner- und Nachbarschaftszeitung RAZ entnommen. Zum Archiv der RAZ geht es hier entlang.