Was haben der Kölner Dom, die Akropolis und Venedig gemeinsam? Nicht viel, aber eines eint sie: Alle sind eingetragen in der UNESCO- Weltkulturerbe-Liste! Und vielleicht gehört ein Teil des Riederwalds bald auch zu diesem illustren Kreis. Ja, Sie lesen richtig und wir erklären, wie es dazu kommen könnte.
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Das Bauhaus feiert in diesem Jahr sein hundertjähriges Bestehen. Die Kunstschule, gegründet von Walter Gropius in Weimar (ab 1925, dann in Dessau), erklärte einen funktionalen und sachlichen Stil zu ihrem Ideal. Sie wollte weg von allem Bombastischen der Gründerzeit und vom verspielten Jugendstil.
Fast zur gleichen Zeit läutete auch Frankfurt die Moderne ein. Man kann feststellen: Das Bauhaus lieferte den theoretischen Ansatz für diesen neuen Stil, das „Neue Frankfurt“, wie es fortan genannt wurde, setzte es praktisch und pragmatisch um.
Ein ehrgeiziges Vorhaben
Die große Wohnungsnot zwischen den beiden Weltkriegen, gepaart mit den ersten Auswirkungen der Wirtschaftskrise, erforderte neue Ideen im Wohnungsbau. Der damalige Oberbürgermeister Ludwig Landmann übertrug 1925 dem neuen Baudezernenten, Ernst May, diese nicht gerade leichte Aufgabe. Martin Elsässer (Architekt u.a. der Großmarkthalle) wurde Baudirektor des Städtischen Hochbauamts.
In fünf Jahren entstanden mehr als 12.000 Sozialwohnungen. Frankfurt war damit zwischen 1925 und 1933 die Stadt in Deutschland, ja in Europa, in der – vergleichbar mit Berlin – gerade dieser soziale Anspruch des Neuen Bauens über ein umfangreiches Wohnungsbau-programm beispielhaft und höchst eindrucksvoll verwirklicht werden konnte.
Um dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen waren vier Faktoren ausschlaggebend:
Ein Drittel der Wohnungen wurden als Einfamilien-Reihenhäuser mit Garten geplant. Spielplätze, Mietergärten, Parkanlagen ebenso wie Kindergärten und Schulen waren Teil des Konzepts. Dreiviertel hatten Zentralheizung und Warmwasser. Die Mieten sollten ¼ des Monatsgehalts nicht übersteigen. Die Architektin Grete Schütte-Lihotzky entwickelte die „Frankfurter Küche“, die Mutter aller Einbauküchen.
Mays Grundsatz war, dass Stadtplanung nur einen Sinn macht, „wenn sie dazu beiträgt, das Leben der Menschen fruchtbarer, reicher, sorgenfreier zu gestalten. Und zwar nicht nur das Leben einer bevorzugten Klasse, sondern das Dasein aller Schichten der Bevölkerung.”
Es soll nicht verschwiegen werden, dass das Streben nach Einfachheit, Bescheidenheit, Gleichheit und Gemeinsamkeit durchaus auch kritisch beäugt und diskutiert wurde. Gegen die „verordnete“ Sachlichkeit setzten sich die Mieter mit An-, Aus –und Umbauten zur Wehr und hinter der geschlossenen Wohnungstür lauerte immer noch das ausladende Vertiko und der röhrende Hirsch über dem Bett im Schlafzimmer.
Ab 1928 bekamen Ludwig Landmann und Ernst May den Hass der erstarkenden NSDAP zu spüren. Nicht nur aufgrund des jüdischen Hintergrunds, sondern vor allem wegen ihrer sozialreformerischen Politik. 1933 markierte das Ende der Moderne. Ernst May verabschiedete sich bereits 1930 aus der Stadt und ging mit der „Brigade May“ in die UDSSR.
Das Neue Frankfurt und der Riederwald
Von 1926-1927 entstanden durch die AG für kleine Wohnungen im Riederwald folgende Wohnraumprojekte (insgesamt 313 Wohnungen) nach den Vorstellungen von Ernst May: Am Erlenbruch 102-126, Görresstraße, Karl-Marx-Straße, Friedrich-List-Straße (jeweils von der Raiffeisenstrasse bis zum Erlenbruch), Lassallestraße 1, Engelsplatz.
In der Regel sollten die Siedlungen auch mit Gemeinschaftseinrichtungen oder – wie im Riederwald – mit Cafés und Läden ausgestattet werden. Das ehemalige Café in der Lasallestrasse ist heute eine Pizzeria. Als Besonderheit wäre noch das benachbarte Künstleratelier zu erwähnen, das bis vor einigen Jahren vom Künstlerehepaar Salis benutzt wurde.
Weitere bedeutende Einzelbauten entstanden im Riederwald: die Konrad-Haenisch-Schule (jetzige Pestalozzischule, Architekt: Konrad Elsässer) und die Heilig-Geist-Kirche (Architekt: Martin Weber).
Wie geht es weiter?
Die Stadt will in den nächsten Jahren knapp 10.000 Wohnungen aus der May-Ära sanieren und energetisch aufrüsten (Römerstadt, Riederwald, Heimatsiedlung, wohl auch Häuser an der Ludwig-Landmann-Straße und Westhausen). Die Arbeiten umfassen nicht nur Fassaden, sondern auch Türen, Fenster und Eingänge. Auch die Freiräume zwischen den Häusern sollen, ganz im Sinne von Ernst May, erneuert und die Dachterrassen wieder belebt werden. Die Arbeiten sollen in diesem Sommer beginnen und im Jahr 2025, pünktlich zum Jubiläum des „Neuen Frankfurt“, abgeschlossen sein. Nach Abschluss der Arbeiten soll der Antrag auf Aufnahme in das Weltkulturerbe gestellt werden.
Der Bund wird die Sanierung mit fünf Millionen € unterstützen. Begründet hat der Bund seine Entscheidung damit, dass die Siedlungen des Neuen Frankfurts ein weltweit anerkannter Beitrag zur Lösung der Wohnungsfrage aus der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen darstellten.
Vieles aus der Zeit von Landmann/May erinnert an aktuelle Debatten zur heutigen Wohnungsproblematik: Wie greift der Staat/die Kommune ein, um mehr (bezahlbaren) Wohnraum zu schaffen? Welche rechtlichen Mittel stehen zur Verfügung oder müssen geschaffen werden? Was sind die Visionen heutiger Stadtplanung? Individualität versus Standardisierung/ Schaffung von Gemeinschaftsplätzen/ Gemeinschaftseinrichtungen?
„Wir wollen erreichen, dass wir nicht nur über das Vergangene reden, sondern auch deutlich machen, welche Impulse das Projekt für die heutige Stadtentwicklung und die heutige Wohnungsfrage gibt.“ So definiert Planungsdezernent Mike Josef (SPD) die Zielsetzung der Sanierungsmaßnahmen.
Wir werden nicht nur mit großem Interesse beobachten, wie die ABG die Sanierung der Häuser im Riederwald angehen wird, wir fordern eine aktive Einbindung der Bewohner/innen und sind gespannt auf die Debatten.